Wüstenzeit kann mutig machen

Gedanken zu Lk 3,1-6 am 2. Advent

 Wenn heute Johannes der Täufer ins Rampenlicht gerückt wird, „der in der Wüste lebte bis zu dem Tag, an dem er vor dem Volk Israel hervortreten sollte“, dann sollten wir die Gemeinden von heute im Blick behalten; dann werden auch wir unruhig werden, genau wie die Leute, die Johannes damals aufgeschreckt hat.

„Gott aber rief Johannes in der Wüste und gab ihm seinen Auftrag.“

Erst die Erfahrung der Wüste lässt den Menschen das Unwichtige vom Wesentlichen unterscheiden; lässt ihn erkennen, was wirklich zum Überleben wichtig ist.

Die „Wüste“ macht dem Menschen schmerzhaft und unmissverständlich seine Grenzen, seine Ohnmacht bewusst; lässt ihn aber auch deutlich klarer erkennen, wer Gott für ihn ist und wozu Gott fähig ist.

Wir leben als Kirche heute in einer solchen Wüstensituation. Viele Fragen, die die Menschen vor einigen Jahrzehnten brennend interessierten: wie die Bibel auszulegen sei; ob die Muttersprache in der Messe verwendet werden solle, ob die Handkommunion gestattet werden dürfe, ob Evangelische die Kommunion empfangen dürfen, sind heute nicht mehr die wichtigen Fragen. Es geht vielmehr  um die Kernfrage, um die Überlebensfrage:

Kann ich in einer unchristlichen Umgebung den Glauben bewahren? Wie kann ich den Glauben meinen Kindern und Enkeln als wesentlichen Schatz für die Zukunft mitgeben?

Habe ich Gott als den erfahren, der mich hält und zu mir hält durch ‚dick und dünn‘?

Habe ich ganz einfache, karge Frömmigkeitsformen gelernt; kann ich auf eine eiserne Ration zurückgreifen: das lange schweigende Dasein vor Gott für mich allein oder in einem kleinen Kreis Gleichgesinnter ohne viel ‚drumherum‘;

die wenigen Worte der Schriftlesung für den Tag, die Eucharistie im Hauskreis als Kraft zum Leben?

Das selbstverständliche Zupacken und zur Verfügung stehen, wo immer einer mich braucht?

Wenn Johannes nicht die Wüstenzeit in Erinnerung behalten hätte, wäre er wankend geworden, an sich selbst irre und an  den Menschen verzweifelnd.

Die Wüstenzeit unserer Gemeinden stellt uns auf die Probe: weniger Leute, die mitmachen; viel Halbherzigkeit; Glaubensunsicherheit und  – Gleichgültigkeit, Ohnmachtsgefühl.

Wenn wir diese Wüstenerfahrung nicht aushalten, laufen wir Gefahr, dem Trend nachzugeben, das Evangelium zu entschärfen.

Johannes stellt die religiösen Praktiken und das gängige kirchliche Leben in Frage; er klopft den Putz von der Fassade. Er macht klar: erst wenn das geredete Wort getan wird, entsteht Glaubwürdigkeit.

Unser Reden von lebendigeren Gemeinden bringen nichts, wenn sich nicht in uns etwas tut.

Vielleicht brauchen wir in unseren Gemeinden geisterfüllte Menschen wie Johannes, die uns den Spiegel vorhalten, unser Reden und Tun hinterfragen, uns vorwärts stoßen zu neuen Lebensversuchen aus dem Glauben.

Johannes riskiert es Wahrheit zu sagen, Unrecht „Unrecht“ zu nennen und erfährt die letzte Ausweglosigkeit, die Dürre des Glaubens, Gottferne, Zweifel und Angst.

Als Christ leben heißt auch: anecken, allein-sein erfahren, Unverständnis und Frustration. Dann aber ist uns doch Trost versprochen, wie ihn die erste Lesung (Bar 5,1-9) beschreibt.