nötiger denn je: sich lösen von Überfluss, überkommenen Denkmustern und Handlungsmaximen

Gedanken zu Markus Kap 10, 17-30

Ich mag den jungen Mann auf Anhieb. Er lebt nicht in den Tag hinein, macht sich Gedanken über seine Zukunft, hat vermutlich schon mit Freundinnen und Freunden darüber gesprochen, aber so richtig klar geworden ist ihm sein weiterer Lebensweg noch nicht. Da hört von diesem Rabbi aus Nazaret. Er weiß, dass sich dem eine ganze Reihe Frauen und Männer angeschlossen haben und mit ihm durch das Land ziehen.

Nun, eine Zeit lang könnte ihn das auch interessieren. Das ist doch sicher spannend zu hören und zu sehen, wie so einer lebt, welche Ausstrahlung er hat, was er denkt über die Zukunft. Und dem jungen Mann ist klar: man kann das Leben genießen, das Leben eines normalen jungen Menschen führen, der in seiner Familie, seinem Heimatort verwurzelt ist, Freundinnen und Freunde hat und das normale Leben mit Arbeit und freier Zeit genießt. Doch da bohrt ein Stachel in ihm: er ist gläubig und denkt darüber nach, wie er nicht nur den Menschen in seinem Umkreis gefallen kann, sondern auch Gott.

So kommt er eines Tages zu Jesus und fragt ihn um Rat: wie mach ich das am besten, dass ich den Menschen und Gott gefalle und am Ende von Gott angenommen werde?

Jesus scheint zunächst kurz angebunden. Wenn er zu den Frommen gehört, auch zu Schriftkundigen: „Du kennst doch die Gebote“.

Der junge Mann ist ein wenig perplex: Ich habe mich doch seit Kindertagen bemüht, nach den Geboten zu leben.

Da scheint erst einmal das Gespräch mit Jesus zu Ende. Er könnte sich sagen: lebe  weiter so wie bisher; halte Gott groß in deinem Herzen und habe auch ein Herz für deine Mitmenschen.

Wir können diesen Dialog durchaus auf heute übertragen, und mancher junge Mensch, der in seiner Familie kirchlich geprägt wurde, in der Gemeinde aufwuchs, nach Schule und Studium in einen guten Beruf gelangte und dann in unterschiedlichen Formen in der Kirche mitlebt: der wäre heute dieser junge Mann, diese junge Frau, die hin und wieder auch mit anderen über ihren  Glauben  sprechen und sich so immer neue Anregungen suchen.

 

Nun endet die Begegnung Jesu mit dem jungen Mann aber nicht mit diesem Dialog.

Jesus blickt tiefer; er merkt, das er diesen jungen Mann nicht so abspeisen darf mit Verweis auf die Religiösität eines normalen frommen Juden.

„Jesus fasste Zuneigung  zu  ihm: ‚Eines fehlt dir noch:  Geh, verkauf alles, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!‘

Der Mann aber war über das Wort erschrocken und ging bedrückt daon: denn er hatte ein großes Vermögen.“

Jesus fordert den jungen Mann, fordert heute die, die ihm folgen wollen, heraus, eine innerliche Kehrtwendung zu riskieren.

Es wäre zu eng, hieraus eine Aufforderung zu einem Ordensleben herauszuhören, wo der Einzelne keinen Besitz hat.

Nein, es geht um einen größeren Sprung aus der Sicherheit.

Der junge Mann und viele von denen, die noch in der Kirche sind, hängen an dem, was sie seit Kindesbeinen gelernt haben; an dem, was sie an Erfahrungen in ihrer Familie, ihrer Gemeinde mitbekommen haben; sie hängen an den Beziehungen im Freundeskreis , an den vertrauten Festen und Aktionen; sie leben das „katholisch sein“ wie sie es immer schon gewohnt sind.

Jesus fordert aber den jungen Mann und damit auch uns heraus, sich loszulösen aus diesem Gewohnheitskäfig.

Die Zeit hat sich geändert, ist komplizierter geworden. Die alten Regeln, die wir in der Bibel finden, müssen auf unser Leben und unsere Zei hin angepasst werden, damit der Sinn erkennbar bleibt, weshalb Gott diese Regeln gegeben hat.

Und da wird es nicht nur eine Lösung geben. Da werden Christinnen und Christen beim Nachdenken über ihr Leben und das Wort Gottes zu unterschiedlichen Konsequenzen für ihr Denken und Handeln kommen.

Das führt zu Spannungen, zu Streitgesprächen, zu gegensätzlichen Standpunkten.

Nur darf niemand behaupten, nur das, was er oder sie, was eine Gruppe aus dem Evangelium heraushört, sei für alle gleich verpflichtend.

Jesus will, dass der junge Mann sich löst aus der Bindung  an all das, was ihn bisher besetzt gehalten hat, von Besitz, von Denkmustern, von Handlungsmaximen.

Ich höre heraus: Jesus will auch uns lösen aus der alten Frömmigkeits- und Kirchenstruktur und jedem und jeder einen Weg öffnen, der das Evangelium im eigenen Leben transparent macht.

Das braucht aber den Austausch mit den anderen, die auch an Jesus glauben, das braucht auch die Begleitung durch Bibelkundige, die die Auslegung eines Textes erschließen; das braucht im Grunde eine kleinere oder größere Gruppe von Glaubenden, die sich immer wieder trifft, miteinander betet und Gottesdienst feiert.

Ich sehe in dieser Geschichte eine starke Aufforderung, Neues auszuprobieren. Jesus selbst hat den jungen Mann dazu ermuntert und tut das auch bei uns durch seinen Hl. Geist.