„Wende das Böse, suche den Frieden“- aber wie ?

„Hast du dir auch die Hände gewaschen?“  Sie kennen diese Frage. Welche Mutter hätte das nicht schon oft gesagt. So brauchten wir zunächst auch über die Frage der Schriftgelehrten an Jesus nicht groß nachzudenken. Das gehört doch zur Hygiene damals wie heute, sich frisch zu machen, wenn man von der Arbeit kommt oder auf dem Markt war; wenn man Hausarbeit gemacht hat, sich vor dem Essen zumindest die Hände zu waschen.

Jesus entlarvt aber die Frage der Schriftgelehrten als Vorwand: sie stören sich daran, dass Jesus und seine Anhänger die vielen Regeln, Gebote und Verbote des Gesetzes kritisch hinterfragen; sie sehen darauf, ob sie dem Zusammenleben der Menschen dienen; oder ob sie womöglich die eigentliche Sinnhaftigkeit ins Gegenteil verkehren. Wie kann man wegen des Sabbatgebotes dagegen sein, dass Jesus Menschen heilt.

Auch heute heißt es, darüber nachzudenken, welche Regeln  und Gebote sinnvoll sind und auf jeden Fall zu beobachten.

Fasten ist sinnvoll, damit wir merken, wie satt unsere Gesellschaft geworden ist; wie viele Menschen  durch Fastfood und übermäßigen Genuss von Süßigkeiten und Alkohol ihre Gesundheit gefährden.

Auf Fleisch verzichten ist sinnvoll, wenn wir an die Viehhaltung denken und daran, dass für ein Kilo Fleisch  eine weitaus größere Menge an Soja verfüttert wurde. An Freitagen kein Fleisch essen, stattdessen auch öfter in der Woche Fisch essen, wäre sinnvoll. Aber oft ist Fisch teurer als Fleisch, und wer auf sein Geld achten muss, bleibt dann beim Kotelett oder Hähnchen.

Und wie viele Gesetze erscheinen uns gar nicht so gerecht: vom Kindergeld für alle  – egal ob sie zu den Reichen oder Armen gehören – bis zur finanziellen Beteiligung der Anlieger an Straßenverbreiterungen, obwohl sie schon Grundbesitz-abgaben zahlen.

Gesetze, die dazu verpflichten, Flüchtlinge abzuschieben, die schon Jahre lang hier leben und mittlerweile arbeiten und Steuern zahlen erscheinen eher menschenverachtend als gerecht.

Und wie viele herkömmliche Regeln gibt es auch in der Kirche, die zumindest zu hinterfragen sind. Spüren wir nicht immer noch eine Ordnung, in der Pfarrer, Priester, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Gemeinde-referentinnen und Gemeindereferenten eine hierarchische Stufenleiter darstellen, die sich oft darin zeigt, wer das Sagen hat und wer mehr Gehalt bekommt; dabei arbeiten alle zusammen in der Pastoral einer Pfarrei.

Wenn wir in den Evangelien genauer danach schauen, wie Jesus sich das Zusammenleben unter seinen Anhängern gedacht hat, dann finden wir sehr schnell seine Botschaft:

Gott ist uns genau so nahe wie dem Volk Israel, von dem in der Lesung die Rede war und wie es die frühen Gemeinden Jesu erfuhren.

Es geht bei allen Regeln und Vorschriften um das Dienen; um die Zuvorkommenheit gegenüber Schwächeren, um Selbstlosigkeit. Und da dürfen Regeln keine Grenzen aufrichten und Gebote nicht das Gegenteil herbeiführen von dem, was eigentlich bewirken sollen. Und dann macht Jesus in dem Text heute auch deutlich: es kommt nicht immer auf das an, was einer im ersten Ärger sagt, was vielleicht Emotion und Gedankenlosigkeit hervorbringen, nein, es kommt auf die innere Haltung an.

Und die Gemeinde Jesu ist verpflichtet, sich immer wieder Rechenschaft zu geben, ob sie diese Diensthaltung Jesu in ihrem Handeln durchscheinen lässt.

Jesus zitiert den Propheten Jesaja: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber sein Herz ist weit weg von mir“, und er nennt die Schriftgelehrten Heuchler, die ihn so scheinheilig  nach der Einhaltung der Gebote fragen.

Ihm kommt es nicht auf äußerliche Rituale an, sondern auf die innere Haltung, die Bekämpfung des Bösen, das sich im Herzen breit macht und Überheblichkeit, Habgier, Betrug, Neid, Verleumdung und Gewalt hervorbringt.

Müssen wir nicht wie Jesus Mahner sein, dass Menschen ihre Gesinnung ändern, ihre Fixierung auf überkommene Konventionen überwinden, ihr Herz öffnen für die, die schwach und arm und stimmlos geworden sind?

Sicher sind Sie auch wie ich bestürzt über die Exzesse von Gewalt und Rassismus in Chemnitz und anderswo in unserem Land. Da scheint doch wahr zu werden, was Jesus als das Böse geißelt, das aus dem Inneren, aus dem Herzen kommt.

Polizeiaufgebot und Rechtsprechung können diese Haltung nicht ändern, da bedarf es  geduldiger, langwieriger Bemühung um einen Dialog zwischen Menschen, die Angst haben um ihre Zukunft und sie in rechtsextremer Gewalt äußern – und denen, die einen anderen gewaltfreien Weg gehen wollen; da braucht es personelle Ressourcen  an Mediatoren, Sozialarbeitern und Streetworkern, um gute Erfahrungen zu ermöglichen zwischen Menschen, die sich bisher ablehnend gegenüber gestanden haben.

Und steckt nicht auch in der ganzen Flüchtlingsproblematik ein ganzes Stück Heuchelei; geht es vielen nicht einfach um Besitzstandswahrung? Entsteht das Böse, das tausendfache Sterben im Mittelmeer, das menschenunwürdige Vegetieren in den Flüchtlingslagern Griechenlands und Libyiens nicht aus Mangel an Solidarität?