Gedanken zu Joh 10
4. Ostersonntag 2020
Joh 10
Die Auslegung dieses Evangeliums bietet einigen Spielraum, weil die Bilder nicht eindeutig benutzt werden.
Da ist die Tür zu einem Schafpferch: ein Hof, von Mauern umgeben; eine Weide, durch Zäune und Gatter abgetrennt, um den Schafen Schutz zu geben, sie zusammenzuhalten in der Nacht, bei Unwettern.
Dann gibt es noch einen Türhüter. Er passt auf, dass keine Räuber und Diebe in den Pferch eindringen. Nur der rechtmäßige Hirte erhält Einlass. Er kennt seine Schafe, er kann sie bei ihrem Namen rufen.
Jesus bezeichnet sich selber als die „Tür zu den Schafen“, und wer durch sie eintritt, ist der Hirt der Schafe. Dann bezeichnet er sich aber auch selber als Hirte, dessen Stimme die Schafe kennen .
Wenn ich diese Bilder auf mich einwirken lasse, entdecke ich einige wichtige Deutungen für unser Leben als Christinnen und Christen.
Zuerst einmal: Jesus Christus ist die Tür. Nur über ihn kann jemand etwas von seinem Geist einatmen, etwas von dem Leben der Glaubenden mitbekommen.
Und Er ist der Hirte, der alles für seine Schafe tut, der sie auch vor Gefahren schützt, sie gegen Diebe und Räuber verteidigt.
Wenn ich dann das Alte Testament hinzunehme und lese, wie Hirten dort beschrieben werden, dann entdecke ich das Bild eines Hirten, das weit weg ist von dem idyllischen Schafhirten an den Ruhrdeichen.
Im Buch Buch Samuel heißt es:
„Kam nun ein Löwe oder Bär und trug ein Schaf aus der Herde fort, dann lief ich hinter ihm drein, erschlug ihn und riss das Tier aus seinem Rachen. Wenn das Tier sich aber gegen mich stellte, ergriff ich es bei seiner Mähne, schlug und tötete es. Ja Löwen und Bären hat dein Knecht erschlagen.“
Dieses Bild passt eher in unsere Zeit, die von Gewalt, Raubüberfällen, Terroranschlägen, Kampf zwischen Mafia-Kartellen und einem die Raubtierzähne zeigenden Kapitalismus gekennzeichnet ist. Viele Menschen, allein erziehende Mütter und Väter, Jugendliche ohne Schulabschluss und mit Migrationshintergrund haben keine Lobby in unserer Gesellschaft.
Da sagt mir das Wort vom Hirten, dessen Stimme die Schafe kennen und dem sie folgen:
Wir dürfen darauf vertrauen, dass Jesus, der Sieger über den Tod, auch für uns total da ist, gerade auch für die, die verletzt und schwach sind; dass Er der uns schützt und uns den Weg zu einem gelungenen Leben zeigt.
Und da ist dann noch der Türhüter. Der passt auf, dass kein Unbefugter in den Pferch eindringt, die Schafe unruhig macht, sie sogar für eigene Zwecke raubt und benutzt.
Nur: Der Türhüter ist nicht der Hirte. Er hat eine dienende Funktion. er ist Türöffner für den Hirten, der ihm Zugang zu den Schafen verschafft, sich selbst aber zurücknimmt. Er darf nicht ein Türsteher sein wie es sie an den Edel-Boutiken und Diskos gibt, die je nach Aussehen, Kleidung und eigenem Gutdünken den Zutritt verweigern oder gestatten.
Da frage ich mich: Sind wir vom Glauben Geprägte und mit Verantwortlichkeit bestellte Ehrenamtliche oder Hauptberufliche wirklich Türöffner?
Kennen wir den Hirten Jesus so gut, dass wir ihn von anderen unterscheiden können, die Einfluss nehmen wollen. Oder möchten wir nicht doch manchmal selber Hirte sein und die Schafe disziplinieren?
Ich lese weiter:
Der Hirte Jesus führt die Schafe hinaus. Sie sollen nicht im Pferch bleiben; sie sollen das satte Leben und die Freiheit einer großen Weide genießen. Der Hirte ruft alle, ihm zu folgen: Frauen und Männer, Schwache und Starke, Arme und Reiche.
Und sie kommen auf den großen Weideflächen der Welt mit anderen zusammen, müssen mit ihnen zusammen leben und Nahrung suchen.
Ihr Leben ist „draußen“, auf den saftigen Weiden, sie wechseln von Ort zu Ort.
Es gibt eine kleine Geschichte, die wir einmal bei einer Erstkommunion gelesen haben und die nachdenklich macht.
Die Weide ist eingezäunt, aber an einer Stelle hat der Zaun ein Loch. Durch dieses Loch schlüpfte ein Schaf und wollte sehen, ob nicht außerhalb des Zaunes besseres Gras wuchs. Der Hirte bemerkte, dass ein Schaf fehlte, er machte sich auf die Suche, fand es nach einiger Zeit und brachte es zur Herde zurück. Ein paar Tage später schlüpfte wieder ein Schaf durch das Loch im Zaun. Der Hirte suchte und suchte, konnte es aber nicht finden. Er bat einen Freund, ihm zu helfen. Schließlich fanden sie das Schaf; es war in eine Grube gefallen und konnte alleine nicht mehr heraus. Sie brachten es gemeinsam zurück zur Herde.
Der Freund schimpfte mit dem Hirten: „Du hättest das Loch im Zaun längst zumachen müssen. Wenn du den Zaun nicht reparierst, dann wird immer wieder ein Schaf ausbrechen.“ Der Hirte aber sagte: „Nein, das Loch im Zaun bleibt. Sonst wären sie ja alle nur eingesperrt.“
Das gehört auch noch zu diesem Evangelium: Gemeinde der Glaubenden darf sich nicht abschotten, ängstlich im sicheren Pferch bleiben wollen, sondern sie hat dem Hirten zu folgen, der sie nach „draußen“ führt auf neue Weidegründe, ins ungesichertes, aber nahrhaftes Umfeld, Wind und Wetter ausgesetzt.