Gedanken zu Joh 21
„Danach offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias, und er offenbarte sich in folgender Weise. [1] 2 Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. 3 Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts.“
Die Jünger sind wieder in Galiläa, am See von Tiberias. Sie sind zu ihrem früheren Beruf zurückgekehrt. Ist da nichts geblieben von den zwei, drei Jahren mit Jesus?
Trotz der Erzählungen der Frauen, trotz eigener Erfahrungen; die sicher nicht so eindeutig waren, die ihnen aber den Gedanken in den Kopf setzten, dass doch mit dem Tod Jesu nicht alles zu Ende gegangen sei, was sie erhofft hatten – sind sie erst einmal wieder in den Norden nach Galiläa zurückgekehrt.
Wollten sie vielleicht dem Wechselbad der Gefühle entfliehen: Traurigkeit und Hoffnung, Zweifel und Gewissheit?
Irgendetwas tun und anpacken? Und ist es auch vielleicht ein Indiz dafür, dass sie die Geschichte mit Jesus als Episode sehen, die jetzt abgeschlossen ist?
Wir gewinnen jedenfalls den Eindruck: da sind Menschen total verwirrt, haben keine Sprache, um mit den Erfahrungen umzugehen, die ihren Denkhorizont sprengen.
Simon Petrus sagt: „Ich gehe fischen.“ Das tun doch Menschen manchmal in sehr schwierigen, verwirrenden Situationen: den Faden noch einmal von vorn aufnehmen. Die ganze Geschichte Schritt für Schritt, Begegnung um Begegnung wieder aus der Erinnerung holen, wieder ins Gedächtnis rufen. Vielleicht erhellt das, hilft das, den abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen.
„Aber während der Nacht fingen sie nichts.“
Joh 21,4-8
„Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. 7 Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See. 8 Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot – sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen – und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her.“
Stopp! War da nicht schon mal eine Nacht, in der sie vergeblich hinausgefahren waren? Die Nacht, nach der sie erschöpft am Ufer saßen, die Netze reinigten. Die Nacht, als er ihnen sagte: Fahrt hinaus auf den See – und das am helllichten Tag. Da hatten sie so viele Fische gefangen, dass die Netze fast zerrissen wären.
Sie spinnen den Faden weiter. Das war der Auslöser, dass sie mit ihm gingen, alles auf eine Karte setzten – und sie waren von einem Staunen ins andere gefallen.
Die Erinnerung schlägt die Brücke zum Heute. Wieder sitzen sie da und haben nichts gefangen. Aber die Erinnerung lässt andere Kräfte aufsteigen, verschüttete Sehnsucht, verdrängte Hoffnung, verratene Liebe.
Nicht Nachdenken, Verstand und Logik lassen sie dem Mann am Ufer folgen, der sie um Fisch bittet und sie anregt, noch mal hinauszufahren.
Und sie fangen viele Fische – wie damals: Erinnerung und Gegenwart sind miteinander verquickt. Das muss ER sein. Johannes wagt es als erster auszusprechen.
Und Petrus springt aus dem Boot – auch das ist eine Geschichte, die schon mal da war!
Joh 21,9-19
„Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen. 10 Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt! 11 Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. 12 Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. 13 Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. 14 Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.“
Da bricht der Erzählfluss ab. Symbole kommen ins Bild: das Kohlenfeuer, das Brot, der Fisch. Da ist auf einmal eine fast liturgische Sprache da:
„Kommt her und esst! … Er nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch.“
Man merkt, der Verfasser des Evangeliums schließt an diese Erscheinungsgeschichte sofort die Praxis der frühen Christengemeinden an. Sie erfüllt das Testament Jesu. Der Fisch wird zum Geheimzeichen einer kleinen Minderheit, die gefährdet, verfolgt, vertrieben das Bekenntnis lebendig hält: ER lebt!“
Das Brot, das sie teilen, Mitte ihrer Versammlungen – gefährliche Erinnerung, Gegenwart des Auferstandenen mitten im Alltag seiner Gemeinde!
Das Feuer aber auch Erinnerung, dass die Botschaft weiter lief, ansteckte, rasend schnell Menschen gewann für den „neuen Weg“.
Auch eine Geschichte für heute, denke ich.
Müssen wir uns nicht manchmal Zeit nehmen, den Faden wieder von vorne aufzurollen? Unsere Glaubensgeschichte meditieren? Warum sitze ich heute Abend hier?
Welchen Weg ist unsere Gemeinde in den letzten Jahren gegangen?
Gefühle wahrnehmen, die mit Glaubenserfahrungen verbunden waren: eine Freizeit, ein Gottesdienst, ein tiefes Gespräch …
Nicht Schulwissen hat meinen Glauben über Wasser gehalten, sondern viele kleine Erlebnisse waren es.
Und auch die Zeiten des Zweifelns, des Abseits-stehens nicht verdrängen, sie haben ihren Wert, machen Glauben nüchtern, karg, bewahren vor „blindem Eifer“.
Und dann: auch mein Glaube muss sich verändern, von rationalem Zustimmen zur verinnerlichten Gewissheit.