Wir sind Thomas … Gedanken zu Joh 20,10-31

Wir sind Thomas. Wir sind Kinder des 21. Jahrhunderts, und unsere Welt ist fast vollkommen enträtselt; Erkenntnisse der Makro- und Nanophysik, der der Genetik, medizinische Forschungen haben vieles möglich gemacht, was früher undenkbar schien; und Computertechnik und das weltweite Netz sorgen mit ungeheurer Geschwindigkeit für Kommunikation und Datenaustausch, lassen eine neue virtuelle Welt entstehen.

Aber sie ist menschengemacht; Gott hat darin keinen Platz, und Auferstehung erwarten wir nur in der Form von eingefrorenem Sperma und Eizellen.

Doch merkwürdig. Obwohl unsere Welt so machbar und programmierbar erscheint, bringen wir es nicht fertig, die zwischenmenschlichen Beziehungen im persönlichen Leben wie zwischen Völkern, Rassen und Religionen so zu leben, dass wir glücklich werden. Die Sinnfragen nehmen zu.

Wir sind Thomas: am liebsten ziehen wir uns wieder auf das zurück, was wir mit den Händen fühlen, mit den Augen sehen mit den Ohren hören, selber mit dem Verstand erkennen können.

Da hat es der Thomas von heute doppelt schwer, das Neue, das Gott an Jesus gewirkt hat und das er mit Thomas tun will, aufzunehmen.

Die Welt, die wir in den letzten Jahrzehnten gebaut haben, macht ihm Angst, sich selbst darin zu verlieren; und einen Gott anzunehmen, der gleichzeitig in unserer Welt und doch nicht von unserer Welt ist – das fällt auch dem Thomas von heute schwer.

Die Geschichte von Thomas ist aber nicht aufgeschrieben, damit wir uns darüber ein paar fromme Gedanken machen und weiterleben wie bisher, sondern

„damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“

Es geht also um eine Erfahrung, die uns mit ganzer Wucht packen könnte und uns dazu bringt, nicht mehr so weiter zu leben wie bisher.

Es geht um die entscheidende Erfahrung unseres Lebens, um Tod oder Zukunft, um Sinnlosigkeit in einer immer komplizierter werdenden Welt oder um Sinnerfüllung in der Beziehung zu einem liebenden Gott und in einer Gemeinschaft, in der wir uns rundum geborgen fühlen.

Die Osterberichte sprechen von Zeichen, die für die Erfahrung des Auferstandenen wichtig sind: das Brechen des Brotes, das Mahl am Feuer, das vertrauensvolle Gespräch.

Nicht alle Menschen haben dafür eine Antenne. Es scheint, dass die Erzählung von der Begegnung Jesu mit Thomas uns klar machen will, dass es abseits der kirchlichen Rituale und der Sakramente noch eine andere Weise gibt,  zum Glauben an Jesus zu kommen.

Vielleicht begegnet Jesus manchen Menschen eher in den Armen als in kirchlichen Ritualen oder gar im Sakrament.

Thomas hört:

 „Leg deinen  Finger hierher und sieh meine Hände, nimm deine Hand und lege sie in meine Seite!“

Nach alter theologischer Überlieferung ist die Kirche gleichsam aus der Seitenwunde Jesu hervor gegangen: Zeichen seiner Hingabe, seines Todes und seines Eins-werdens mit der leidenden Menschheit. So könnte diese Aufforderung Jesu an Thomas durchaus bedeuten:

Thomas, geh hin und lass dich mit dieser konkreten Kirche ein! Versuch, ihr auf die Spur zu kommen, wo sie  – trotz aller Schuld, aller Starrheit und Dummheit – mit ihren Händen Verzweifelte tröstet, Kranke pflegt, Einsame in den Arm nimmt; wo sie mit Geschlagenen und Geschundenen leidet, wo sie durch Resignation und Unglauben hindurch  dennoch Hoffnungsspuren sät.

Und die Begegnung mit den Armen und das Engagement, mit ihnen zusammen um gerechte Lebensverhältnisse zu streiten, wird dir die Chance einer großen Gotteserfahrung geben.

Mutter Teresa sagt einmal:

„In der Kommunion begegnen wir Jesus  in der Gestalt des Brotes. In unserer Arbeit  finden wir ihn in der Gestalt von Fleisch und Blut. Es ist derselbe Christus:  Ich war hungrig, ich war nackt, ich war krank, ich war ohne Zuhause.“… „Weil wir ihn berühren können, können wir vierundzwanzig Stunden lang in seiner Gegenwart sein.“

Papst Franziskus hat wohl eine ähnliche Denkweise, wenn er die Kirche so sehr an die Ränder der Städte schicken möchte zu den Armen und Ausgegrenzten.