Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis
Mk 6,1-6a
In dem Buch ‚Der kleine Prinz‘ erzählt A. de St Exupery:
„Ich habe ernsthafte Gründe zu glauben, dass der Planet, von dem der kleine Prinz kam, der Asteroid B 612 ist. Wenn ich Euch … sogar seine Nummer anvertraue, so geschieht das der großen Leute wegen. Die großen Leute haben eine Vorliebe für Zahlen. Wenn ihr von einem neuen Freund erzählt, befragen sie euch nie über das Wesentliche. Sie fragen euch nie: Wie ist de Klang seiner Stimme? Welche Spiele liebt er am meisten? Sammelt er Schmetterlinge? Sie fragen euch: Wie alt ist er? Wieviel Brüder hat er? Wieviel wiegt er? Wieviel verdient sein Vater? Dann erst glauben sie ihn zu kennen … Wenn ihr zu den großen Leuten sagt: ich habe ein sehr schönes Haus mit roten Ziegeln gesehen, mit Geranien vor den Fenstern und Tauben auf dem Dach … dann sind sie nicht imstande, sich dieses Haus vorzustellen. Man muss ihnen sagen: ich habe ein Haus gesehen, das hunderttausend Franken wert ist. Dann schreien sie gleich: Ach, wie schön!“
Auch die Bewohner von Nazaret sind solche großen Leute. Sie wissen: dieser Jesus ist der Sohn der Maria; er hat das Zimmermanns-Handwerk gelernt, und seine Verwandten kennen wir auch: die leben hier in Nazaret oder ein paar Dörfer weiter. Sie kennen die Herkunft der einzelnen Familien im Dorf. Sie haben ein bestimmtes Bild von Jesus, ordnen ihn in einen bestimmten Rahmen ein: ein dorfbekannter Mann nimmt die Buchrolle, wie es jeder erwachsene Jude tun durfte, und legt die Schrift aus. Die Welt scheint in Ordnung.
Nur: in diese wohlgeordnete Welt, wo alles seinen festen Platz hat, wo Konvention und Tradition dem Leben einen Hang zum gewöhnlichen Alltäglichen, ja fast Langweiligen geben, bricht das Ungewöhnliche ein. Ein Mann aus ihrem Dorf hat eine Vision im Kopf, redet vom Reich Gottes, als ob es jetzt schon da wäre, sieht die Verheißungen des Jesaja und der anderen Propheten erfüllt. Und was man munkeln gehört hat: Er hat nicht nur schöne Worte, er handelt so wie er spricht. Die kleinen verängstigten Leute, die erleben ihr Wunder. Die, die durch die ganz normale alltägliche Ordnung krank geworden sind, die unter dem System der religiösen Ordnung leiden, fühlen sich verstanden, leben auf.
„Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist; und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen?“
Eigentlich müssten die Leute in Nazaret aufatmen, sich freuen, dass einer – zudem einer aus ihrem Dorf – den Bannkreis der Perspektivlosigkeit durchbricht, ihre Sehnsüchte aufgreift, ihnen eine Ahnung vermittelt, das ihr Leben jederzeit neu aufbrechen kann.
Was dann geschieht ist oft so: wer aussteigt aus dem Gewöhnlichen, wird zum Angegriffenen, bekommt Unverständnis, Widerspruch und Feindschaft zu spüren. Er wird isoliert, der gehört entfernt ( in einem anderen Evangelium ist davon die Rede, die Leute hätten Jesus fast gesteinigt ).
Vielleicht, dass Menschen in Jesus wie in einem Spiegelbild ihre Chance sehen, aber mit ihrer eigenen Trägheit, Schwerkraft und Angst konfrontiert werden.
Wenn das alles stimmen würde, was er sagt, dann müssten sie ihr Bild von Gott verändern und vor allem sich selbst.
Sie müssten anerkennen, dass Gott im ganz Gewöhnlichen, im Durchschnittlichen, mitten im Leben, in Beruf und Freizeit, Nachbarschaft und Glaubensgemeinschaft begegnen kann.
In der Ezechiel-Lesung werden sie Söhne mit verhärtetem Herzen genannt, zu denen der Prophet geschickt wird. Die Leute in Nazaret sind nicht anders – und wir?
Wir müssen diese Erzählung vom Auftreten Jesu in Nazaret als aktuelle Herausforderung ansehen.
Macht euch nicht feste Bilder von Menschen! Oft glaubt man zu wissen, was einen Menschen ausmacht, wenn man weiß, was jemand macht.
Und doch sagen Herkunft , Beruf, Besitz, Prägung nicht alles über einen Menschen aus. Erst allmählich, im Zusammenleben, im Alltäglichen enthüllt sich, was einen Menschen wirklich wertvoll macht.
Wir müssen diese Erzählung als Stachel spüren, um unser Bild von Gott zu überprüfen, es mit unserer Entwicklung verändern, unsere Erfahrungen und Berührungen mit einbeziehen.
Wir müssen unser Bild von Kirche verändern, weil es zu sehr geprägt ist von Übermalungen früherer Zeiten.
Ich war vorige Tage in dem Film „Papst Franziskus – ein Mann seiner Worte“, und da ist mir klar geworden, wie sehr dieser Mensch, dieser Papst dem Jesus nachfolgt, der uns heute vor Augen gestellt wird. Wie Franz von Assisi, dessen Namen er angenommen hat, versucht er unsere Kirche zu verändern.
Der Film zeichnet zumeist in Originalworten und Dokumentar- szenen den Weg von Papst Franziskus nach – und macht deutlich, wie sehr seine Worte, seine Denkweise, seine Gesten, sein Mienenspiel, seine spontane und unkonventionelle Art, sein Amt auszuüben, Kurie und Christen, die noch in der Vergangenheit einer Machtkirche leben, aufschreckt, ärgert, um ihre Ruhe bringt.
Da passiert heute genau dasselbe wie zur Zeit Jesu, zur Zeit des Franz von Assisi: Menschen fürchten um den rechten Glauben, fürchten Chaos und Beliebigkeit in der Moral, in der Ordnung des Zusammenlebens von Frau und Mann, blenden die Veränderung aus, die die Welt längst ergriffen hat.
Ich kann mir jetzt diese Szene in Nazaret besser vorstellen und vor allem wird mir klar, wie sehr die kleinen und einfachen Leute, die Kranken und Schwachen an Jesus hingen. Gerade die Bilder von Besuchen des Papstes in Flüchtlingslagern, Krankenhäusern, Gefängnissen, zerstörten Städten auf den Philippinen nach dem Taifun stellen uns einen Papst vor Augen, der voller Empathie Menschen begegnet, der mit ihnen an einem Gott zweifelt, der all dieses Unheil zulässt. Aber Franziskus ist davon überzeugt, dass Gott dem Menschen die Freiheit gegeben hat, ja oder nein zu sagen, zu lieben oder zu hassen.