Das kennen Sie doch, wenn sie Jugendliche in der Familie haben:
„Es wird wirklich mal Zeit, dass ihr eure Zimmer aufräumt.
Da findet man ja nichts mehr wieder.“
„Ja, ja, mach ich schon noch“, sagt der eine.
„Jetzt nicht, ich hab noch eine Verabredung, kann ich auch morgen noch machen“, der andere.
Am Abend schauen Sie in die Zimmer der Jungen.
Der erste hat nichts gemacht; da liegen die Brocken noch kreuz und quer im Raum.
„Ja, ja, mach ich schon noch“ war nur eine Floskel, nichts dahinter.
Das Zimmer des anderen: Erstaunt sehen Sie, da herrscht auf einmal Ordnung, der hat sich richtig Mühe gegeben, obwohl er gar nicht wollte.
Diese kleine Episode, die Sie vielleicht schon erlebt haben, möchte ich einmal ganz anders auf unsere Kirche beziehen.
Da hat der alte Papst vor über 50 Jahren gemeint, es müsse mal der Wind durch die Kirche fahren, Aufräumen sei angesagt. Johannes XXIII. wollte durch das 2. Vatikanische Konzil die Fenster aufreißen, damit frischer Wind hinein fegen könnte.
Das Konzil brachte wirklich großartige Erklärungen zustande. Viele Kirchenmitglieder hofften auf einen Frühling.
Nach Ende der Sitzungen galt es, die Beschlüsse umzusetzen.
Einige Ergebnisse waren tatsächlich bald öffentlich zu bemerken. Kirchensprache jetzt Landessprache. Der Priester bei der Messe dem Volk zugewandt, mit den Gläubigen zusammen um den Altar herum versammelt. Getaufte und Gefirmte haben teil am Sendungsauftrag Jesu. Die Amtsträger sollten arm sein, den Menschen nahe, mit ihnen Sorge, Freude und Hoffnung teilen.
Und jetzt kommt das heutige Gleichnis ins Spiel.
Viele Amtsträger wollten im Grunde, dass alles blieb, wie es war. Sicher, kleine Veränderungen nahmen sie hin. Aber den Geist des Konzils in das Leben der Gemeinden übertragen, nicht nur Papier produziert zu haben, sondern spürbare Reformen – das rüttelte doch zu sehr an ihrem bisherigen Kirchenverständnis.
Das „Ja, ja, wir machen das schon“ des einen Sohnes im Evangelium wurde bei ihnen auf den St. Nimmerleinstag verschoben.
Und dann waren da die, die ernsthaft ihren Glauben vertiefen wollten; die ihre Schwierigkeiten mit einzelnen Konzilstexten hatten; etwa dass in allen Religionen Wertvolles und Wahrheit zu sehen sei, Inkulturation auch in die Glaubensformulierungen und Liturgien hineinkommen müssten. Und die Stellung der Priester wurde relativiert, Laien sollten Verantwortung übernehmen.
„Nein, das wollen wir eigentlich nicht“: sie glichen dem zweiten Sohn im Evangelium.
Aber dann passierte bei manchen von ihnen Erstaunliches.
Besonders Bischöfe in Lateinamerika erlebten im Zusammenleben und in der Nähe zu ihren Gemeinden die Armut, die Unterdrückung, die Verfolgung durch Mächtige; erlebten, wie Menschen aus Gemeinden und eigene Priester ermordet wurden – und bekehrten sich. Die Erklärungen des Konzils wurden für sie Modelle, die lebbar waren. Bischöfe wie Helder Camara in Brasilien, Oscar Romero in El Salvador, die erst recht konservativ waren, wurden Vorreiter der Theologie der Befreiung. Theologen wie Leonardo Boff, Carlso Mesters, Ernesto Cardenal wurden zu Begründern von Basisgemeinden. Auf einmal sorgten Laien in den Gemeinden für Wortgottesdienste an Sonntagen, für Katechese und Hilfe für Bedürftige.
Europäische Bischöfe, wie der Kardinal von Paris, der Belgier Suenens erlaubten Priestern zu arbeiten und nicht mehr in Pfarrhäusern zu wohnen. Die Arbeiterpriester wurden Kollegen und Kumpel.
Das „Ich will nicht“ wurde stillschweigend gecancelt.
Und heute.
Wir erleben den Spagat:
In den Gemeinden: bewahren, beschwichtigen, alte Liturgien, fremd gewordene Sprache
In der Kirche: Reden, langwierige Prozesse, Entscheidungen aufschieben.
Wir brauchen Bekehrungen bei den Hauptberuflichen wie bei uns selber.
Die die bisher nichts verändern wollten, die Ängstlichen, die Traditionsverhafteten: wir müssen sie ins Boot holen, aber Vielfalt muss gewährleistet sein.
Jesus sagt: Der zweite Sohn hat den Willen des Vaters erfüllt.
Uns allen muss es um das gehen, was Jesus vorgelebt hat.
Im Philipperbrief hat Paulus das auf eine unüberbietbare Weise besusngen:
Jesus Christus hatte Gottes Gestalt. Doch er meinte nicht, dass jemand, der Gott so ähnlich ist, wie entrückt und fern von Leiden und Tod sein müsse. Deshalb hat er auf sein Vorrecht verzichtet und hat Sklavengestalt angenommen. Er wurde wie wir Menschen, führte genau so ein Leben wie wir, wurde elend wie wir und gehorchte Gottes Auftrag bis zum Tod am Kreuz. Deswegen hat Gott ihn in den höchsten Rang erhöht und ihm erlaubt, sich Gott nennen zu lassen, denn er hat ihm seinen eigenen Namen verliehen, den Namen über allen Namen. So soll alles im Himmel, auf Erden oder unter der Erde ihn anbeten, und alle Menschen sollen zur Ehre Gottes, des Vaters, bekennen: Jesus Christus ist der Herr.“
Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, übersetzt und kommentiert von
Klaus Berger und Christiane Nord, Insel Verlag